geändert: 25-Sep-2o10 · parastep · slowenien · Lijak 2010 ·

mein Gleitschirmunfall am Lijak im April 2010

Und hier nun meine Erlebnisse, wie es zu meinem Unfall am Lijak kam. Ich habe sie größtenteils auf der 6std. Fahrt von Slowenien nach Deutschland ins Handy getippt, da ich nicht schlafen konnte wegen der Schmerzen und der unbequemen Fahrt.

Wie es dazu kam

Es ist 0uhr und ich liege auf einer unbequemen Liege in einem Krankentransporter auf der Rückfahrt mit dem Krankentransport vom Hospital Dr. Franca Derganca in Sempeter in die Uniklinik Ffm. Über mir durchs Dachfenster des kleinen Krankentransporters seh ich immer wieder mal das Sternbild des Orion oder des Großen Wagen, wie es seine Position ändert, je nachdem in welche Richtung wir fahren.

Mein Rücken schmerzt, auf der Trage merke ich erstmal, wie beschissen die A10 durch die Alpen ist, es wackelt und hüpft und ich finde keine Position, um etwas zu schlafen. So ein Vakuumbett wäre schon schön gewesen. Leider ist das aber bei der Anmeldung aber wohl untergegangen. Zum Glück hab ich Ohropax dabei, da ist der Lärm im Auto wenigstens halbwegs erträglich. Da sieht man erstmal, wie verwöhnt vom eigenen vierrädrigen Wohnzimmer man ist, wenn man so im PKW durch die Alpen gondelt.

Vorn sitzen zwei unterbezahlte Jungs aus Leipzig, die für einen privaten Innsbrucker Rettungsdienstes fahren und versuchen mich so schnell wie möglich nach Hause zu bringen. Wir unterhalten uns Anfangs eine Weile und sie erzählen, wieivel Stunden Dienst sie schieben müssen und was dabei herum kommt.
Warum verdienen gerade die Leute, die einem den Arsch retten, so schlecht? Mit ein Grund, warum ich Fördermitglied der Bergrettung Tirol bin.

Doch von Anfang an. Wie kam es eigentlich dazu, das die Jungs mich durch die Alpen karren?

Flugwoche in Slowenien

Unser Osterurlaub war, wie in den letzten Jahren auch, wieder von langer Hand geplant. Und wie immer sollte es Slowenien sein, da dort die Temperaturen tagsüber um diese Zeit meist schon ein angenehmes Maß erreichen und die Thermik durch die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht schon gut hoch zieht. Wg Schlechtwetteransage über Ostern haben wir es aber auf nach Ostern verschoben. Zwei aus unserer Fliegergruppe fuhren dem Gleitsegelwetter zum trotz runter und sind seit Mittwoch vor Ostern fast jeden Tag geflogen, trotz waagerechten Regens von vorn und keinerlei Streckenmöglichkeit laut Wetterbericht :-) Sonne gabs zwar nicht, aber dafür 1-2Std Flugzeit.

Ab Di sollte es dann aber richtig gut aussehen, meint Wetteronline, so beschließen wir, am Mo die 850km von Frankfurt aus runter zu fahren. Am Tauerntunnel krümmelt noch etwas Schnee herunter, hinter Villach ist dann ein schöner Sonnenuntergang und klarer Sternenhimmel zu sehen. Gg 22uhr kommen wir mit großem Hallo im Camp Lijak an. Nach ein paar Bierchen am Lagerfeuer gehts ins Bett, morgen ist Streckenwetter angesagt und es wurde dann auch empfindlich kalt, als das Lagerfeuer abgebrannt war.
Am Dienstag morgen gabs Sonnenschein und blauen Himmel. Wenn Englein reisen :)

Über Nacht sind noch zwei Busse mit tschechischen Fliegern eingetroffen. Flugschule, wie wir dann oben am Startplatz feststellen. Egal, die Kante ist lang, das verläuft sich, zumal die Tschechen eh nur Start-Landung üben. Gegen 2uhr blubbert die Mittagsthermik munter los und wir starten raus zum ersten großen Flug im neuen Jahr. Hier am Lijak war ich das letzte mal 2001 zu einer Flugsafari mit der Flugschule Tannheim und hab damals meine ersten Thermik und Aufwind Flugerfahrungen gesammelt. Mehr davon auf meiner Website unter Lijak 2001.

Endlich in der Luft geht es recht schnell nach oben, der Hotspot an der Höhle funktioniert immer noch. Genial :) Damals kam ich bis zur Militärstation, die heute ein Museum ist. Diesmal gehts weiter. Wozu hab ich schließlich letztes Jahr den B-Schein gemacht. Es geht rauf und runter, ich überhöhe die Kante und sehe im Hintergrund die Julischen Alpen. Fantastisch. Damals hatte ich nur einmal in der ganzen Woche die Gelegenheit, einen Blick auf die Berge zu werfen. Diesmal war es kein Problem, ich hatte sogar Zeit genug, den Anblick zu genießen.

Nachdem meine Begleiter schon weiter Richtung Ajdovscina geflogen sind, beschließe ich auch, um die erste Ecke zu fliegen. Ich bin auf Höhe des Grates und fliege mit dem Nordwestwind an der Kante entlang. Als dann der Talsprung ansteht, bin ich unterhalb vom Grat. Und saufe dermaßen ab, das ich mich schon mitten in Lokavec landen sehe. Ich behalte aber die Nerven und schaffe es auf eine große Wiese ausserhalb. Kurz nach mir kommt auf der Wiese neben mir ein Schweizer GS Fieger runter. Ich halte ihm den Packsack in den Wind, das er etwas Orientierung über den Wind hat, der recht kräftig bläst. Auch ihn hat es runter gespült an der Talquerung. Meine Begleiter haben schon den 2.Talsprung geschafft, höre ich über funk. Aber gegen den Nordwest kommen sie nicht mehr zurück. Ich wandere mittlerweile Richtung vereinbartem Treffpunkt Sportflugplatz Ajdovscina. Wenn Ihr in das Tal fliegt, bitte die Flugschneisen und Sperrzonen unbedingt beachten, dort werden u.a. Segelflieger geschleppt.

Nach 30min ist dann unser Pickup Service da und es geht heim zum Kamp Lijak. Das Kamp liegt an der vielbefahrenen ...204...? und es ist trotz Schutzwall recht laut auf dem relativ neuen Campingplatz, der mit viel Liebe so langsam wächst. Da wird den ganzen Tag unterwegs sind, stört der LKrm aber kaum, denn Nachts war es sehr ruhig auf der Strasse. Abends gibts selbst gekochte Nudeln mit Soße, viel Knobi drin und Lasco Pivo. Wir gehen recht zeitig schlafen, morgen ist Streckenwetter angesagt :)

Mittwoch 7.4. nach Ostern.
Es ist wieder schönstes Wetter,die sonne brennt schon ganz gut und wir frühstücken gemütlich, während die Tschechen schon hektisch aufbrechen. Als wir gg 13uhr oben sind, bläst die Thermik recht kräftig und einige der Tschechen haben Mühe, vernünftig rauszukommen. Irgendwie schaffen sie es dann doch, aber man schaut lieber nicht hin. Im Hospital bestätigte mir später ein Arzt, das sie hier des öfteren tschechische Piloten als Patienten haben. Fing das damals in Dt auch so an?

Wir starten schließlich etwa gg halb drei und es geht wieder recht schnell nach oben. Der Anblick ist atemberaubend. Heut ist auch die Adria Richtung Venedig und Triest gut zu sehen. Ich fliege Richtung Militärstation und an der Bergkirche heißt es Höhe machen, soviel wie nur geht. Dann bin ich weit über dem Grat und fliege Richtung erste Talquerung. Mein Fehler gestern, ich bin unterhalb des Grat und vorm Berg geflogen. Darum hats mich auch runtergespült, als ich zur Talquerung kam. Der Wind ging mit mir seitlich am Berg vorbei, nicht den Berg hinauf. Diesmal bin ich überm Grat und fliege mit Rückenwind auf die Talquerung zu. Wie zu erwarten saufe ich ab, als ich das Tal quere. Ich komme auf der anderen Seite aber ohne Probleme wieder hoch, da der Hang quer zur Wind- und Flugrichtung steht. Ich bin schnell überm Grat und versuche meine Mitflieger zu finden, die schon weit voraus sind.

Dummerweise fängt meine Blase an zu drücken. Ich bin seit ca 1h30 in der Luft, fliege über den Startplatz bei Ajdovscina und lasse mich zur zweiten Talquerung animieren, was auch problemlos klappt. Hab ja Rückenwind. Am Berg gegenüber an der kleinen Ruine gehts dann wie erwartet nach oben. Aber nach 30min muß ich runter, die Blase drückt zu sehr. Ich komme fast bis zum offiziellen Landeplatz, an dem wir uns später alle wieder treffen, zurück.
Leider hat die Pizzeria Anja am Mittwoch Ruhetag. Um 17.30uhr nehmen wir den Bus nach Nova Gorica. Nach dem wir einige Zeit gefahren sind, schau ich auf mein etrex GPS und lese 66km geflogen in 2h10min. Ich bin begeistert. Am Lijak Landeplatz steht schon unser Abholer, wir zahlen 3.10Euro für den Bus und steigen um. Abends gehts zu Fuß ins Nachbardorf in die Pizzeria Grat im Pfarrhaus, etwas den Berg hinauf.

Donnerstag, 8.4. Nach einem frühmorgendlichen Abgleiter und ausgiebigen Frühstück gehts gg 13uhr wieder hoch. Auch heut gehts wieder schnell nach oben, die 2000m sind bald geknackt. Aber die Luft ist durch Nordeinfluß sehr unruhig, hab manchmal gut zu tun, den Schirm unter kontrolle zu halten. Zwei aus unserer Truppe versuchen wieder auf Strecke zu gehen. Sie saufen schon weit vor der erste Talquerung ab. Mit Viel Rückenwind gehts dann wieder zurück Richtung Kirchturm auf dem kleinen Berg. Dort schaffen sie es wieder auf Grathöhe aufzudrehen. Eine tolle Leistung unserer Frau im Team (Jenny).
Nach ca 40km Stecke und 1h30 Flugzeit wirds mir dann auch zuviel und ich geh landen. Vorher natürlich noch die obligatorischen Fotos und Filme, was bei der Schaukelei nicht ganz einfach ist. Abends dann grillen und recht bald ins Bett, da es ohne Feuer schnell kalt wird.

Freitag, 9.4. Wieder viel Sonne und auch viel Wind. Sieht fast wie Bora aus, aber zum Mittag schwächt es sich ab. Wir fahren hoch und oben steht guter Wind von vorne an. Schnell sind wir wieder ganz oben. Leider ist nicht an Strecke zu denken. Ich fliege um die Erste Kurve, über dem Grat und bleibe fast auf der Stelle stehen. Es geht mit 7.3ms abwärts, obwohl es sich nicht so anfühlt. Ich drehe um und an der Ecke zum Kirchturm Berg beamt es mich mit 8.5ms nach oben. Nach erster Euphorie, das ich doch nicht landen muß, kommt die bange Frage, was passiert, wenn ich aus diesem Bart falle? Das würde nicht ohne kräftige Schirmreaktion ausgehen. Zum Glück bleibe ich drin, bis ich auf über 2300m bin. Dort ist der Bart so groß, das man einfach irgendwohin fliegen kann.

Ich fliege zurück Richtung Startplatz und baue mit einem B-Stall höhe ab. Dabei klappt der Schirm vorn mit den Segelenden zusammen. Ich fülle leicht vor, der Schirm tänzelt über mir und als er fast offen ist, bremse ich nochmal kurz ein bischen an, das sich das Profil aufbauen kann. Hätte ihn vielleicht vorher in den Wind drehen sollen. Der Schirm füllt sich schnell, versucht zu pendeln, was ich mit einem Zug an der Bremse verhindere und dann fliegt er schließlich normal weiter. Sicherheitstraining beendet :) Der Mistral4 ist schon ein feines Gerät. Mit der Aktion hab ich rund 500m Höhe vernichtet, bin aber noch weit über dem Grat.

Wenns Richtung Süden nicht geht,dann probieren wir das halt mal nach Norden :) Ich fliege also Richtung Nova Gorica und entdecke noch einen Schirm aus unserer Gruppe. Da hatte noch jemand die selbe Idee :-) Ich komme bis an den Rand der Stadt, dann dreh ich um, da es nicht hoch geht. Ich krebse recht weit unten rum und seh mich schon an der Straße nach Nova Gorica landen Ich kann mich aber mit ein paar Blasen Richtung Startplatz retten. Dort steht meist in der Schlucht unterhalb ein Bart, also ein Aufwind, der stark genug ist und mich wieder nach oben trägt. Oben sehe ich einige Piloten rausstarten, also paßt der Wind wohl. Ich komme recht tief unterm Startplatz an und suche in der Nähe der Felsen nach dem Aufwind. Als ich ihn schließlich an erwarteter Stelle finde bin ich mit ein paarmal Achtern schnell auf Startplatzhöhe. Ich bin so happy, das ich laut rausschreie zu den verdutzt guckenden Piloten am Startplatz. Schnell hab ich überhöht und es geht weiter hinauf.

Der Unfall

Nun setzte eine tragische Fehleinschätzung der Situation ein. In meiner Siegerstimmung meinte ich, ich muß nun auch noch eine Toplandung hinlegen. Meine Fliegerfreund Airwolf meinte, ich wäre im Flugrausch gewesen. Viel anders kann ich mir diesem Schwachsinn auch nicht erklären, so oft ich auch drüber nachdenke und die Szene nochmal durchgehe im Kopf. Ich versuche zweimal von hinterm Startplatz an die Kante vor zu fliegen, aber sobald ich über den Startplatz komme steigt der Schirm schnell nach oben. Klar, das Aufwindband, in das die Piloten reinstarten und das mich nach oben getragen hat, steht hier gut an.

Also fliege ich vor dem Startplatz hin und her und habe nach ein paar Versuchen die richtige Höhe. Was dann passiert kann ich bis heut nicht recht erklären. Vielleicht eine Art Angststarre? Ich drehe um und fliege frontal auf den Startplatz zu. Soweit nicht so schlimm, aber ich sollte dann in Bodennähe den Schirm wieder in den Wind gestellt haben. Ich denke ich war entsetzt, mit welchem Speed ich nach der Kurve auf den Startplatz zuschoß. Klar, jetzt hatte ich ja auch vollen Rückenwind. Im vorderen Teil des Startplatzes steht ein Pilot abflugfertig und ich denke mal, auch das war ein Grund, keine Kurve zu fliegen in Richtung Tal.

Kurze Überlegung, das ich mir bei dem Speed die Hacksen brechen würd, ich reiße die Beine hoch und knalle mit dem Hintern mit voller Fahrt auf den Berg. Ein höllischer Schmerz erfüllt den Becken und Rückenbereich. Ich schreie laut auf und traue mich einige Momente nicht zu bewegen. Doch dann will ichs wissen... die Füße und Zehen lassen sich bewegen. Gott sei Dank. Auuuaaaa. Ein Tschechischer Flieger kommt und will mir helfen. Er steht etwas ratlos bei mir und fragt, wo ich Schmerzen habe. Ich sage nur, das ich einen Sanitäter brauche und er funkt sofort an den Landeplatz zu seinen Mitfliegern. Mir fällt ein, das ich ja ebenfalls den Funk dabei habe und stelle Verbindung zu meinen Leuten her. Schnell ist geklärt, das die Rettung informiert wurde.

Ich liege derweil immer noch in einer unbequemen Position auf dem Rücken, hab gemeine Schmerzen, die nicht nachlassen und unterhalte mich mit dem Piloten, der mir zu Hilfe kam. Er fliegt schon seit 10Jahren und ist mit seinen Brüdern hier. Der Schmerz ist nicht mehr so extrem, er befreit mich etwas aus dem Gurtzeug, aber wir achten darauf, das ich meine Position nicht ändere. Dann rafft er mir meinen Schirm zusammen. Etwa nach 10Minuten kommt schon der Rettungsdienst. Sie legen mir eine Halskrause an und ich komme auf eine Trage. Dann müßen sie meine 80kg einige Meter durch den Wald zum Wagen schleppen. Ich bekomme einen Zugang gelegt und etwas Schmerzmittel oder sowas gespritzt. Mittlerweile ist mein Begleiter Airwolf vom Landeplatz eingetroffen und schaut ganz entsetzt, was mit mir los ist. Als er sieht, das alles in Arbeit ist, greift er geistesgegenwartig meine Kamera und macht ein paar Fotos von mir. Muß ja alles n Sinn haben :) Hoffe ich kann in einiger Zeit drüber lachen.

Ich werde etwas später in einen größeren Transporter umgeladen, welcher nicht bis zum Startplatz runterfahren kann. Scheint alles sehr routiniert abzulaufen, wohl schon mehrfach erprobt :( Wir fahren ca 15min ins Regional Hospital nach Sempeter, die ganze Kommunikation läuft in englisch ab. Die hübsche braunäugige Sanitäterin die bei mir an der Trage bleibt ist aus Russland und erst seit drei Tagen dabei. Sie hat einen Slowenen geheiratet, und ist zu ihm nach Nova Gorica gezogen. Sie spricht sehr gut slowenisch und etwas englisch meint sie noch, dann sind wir auch schon da. Es geht schnell zum röntgen und nach kurzer Beratung zum CT. Die Schmerzen sind immer noch schlimm, aber ertragbar. Dann die erlösende Nachricht: NUR zwei Wirbel haben eine Fraktur, sprich angebrochen. Sonst soweit man auf die Schnelle sieht, alles okay. Mir fallen ganze Gebirge vom Herzen. Ich Trottellumme hab so ein Schwein gehabt. Das hätte durchaus im Rollstuhl oder sonstwie enden können. Meine Schutzengel haben wieder tolle Arbeit geleistet. Vielen, vielen Dank von hier aus.

Gegen 18uhr komme ich auf die Traumastation und werde von zwei bezaubernden jungen Krankenschwestern in Empfang genommen. Ich komme in ein 6 Mannzimmer, in dem aber nur zwei Männer liegen. Nachdem ich versorgt bin und ich ein Platz am Fenster im 7.Stock bekommen habe, genieße ich erstmal die Aussicht in Richtung Gorica und bin sehr froh, das ich in der EU lebe. Wie wäre das in Marokko oder Thailand ausgegangen? Ich weiß schon, warum ich nicht soweit weg will zum fliegen :) Ich telefoniere mit meinen Leuten, simse ein paar Freunde an und bin trotz allem Happy und Dankbar, das es so und nicht schlimmer ausgegangen ist.

Nachdem ich kurz eingeschlafen bin, werde ich durch extrem lautes Schnarchen geweckt. Wer mich kennt, weiß, das das für mich ein rotes Tuch ist. Der ältere Herr in meinem Zimmer hat Atemaussetzer beim schnarchen und wenn er Luft bekommt, gibt er sehr laute Einatemgeräusche von sich. Das geht über Stunden so. Zwischendurch wacht er immer wieder auf und gähnt, ja ruft beinahe. Klar, Sauerstoffmangel. Mir schwant schreckliches. Das wird nicht nur eine schlaflose Nacht. Ich frage die Schwester nach Ohropax, aber sowas haben sie leider nicht. Ich stopfe mir etwas Taschentuch in die Ohren, aber die Lautstärke ist rekordverdächtig. Ich nicke irgendwann ein, aber nicht lange, dann schrecke ich wieder hoch.

Am nä. Tag kommen dann meine Fliegerfreunde zu Besuch und bringen mir Ohropax!, Klamotten und was zum lesen mit. Sie wollen natürlich wissen, wie das passiert ist. Ich kanns immer noch nicht recht erklären. Ich laße mir beim essen helfen, da ich nicht aufstehen kann. Sehr unangenehm, auf dem Rücken liegend zu essen. Tee gibts mit Strohhalm, Suppe löffelweise. Das Essen ist ganz okay für eine Großkantine.

Als ich wieder allein bin, versuche ich meine Versicherung anzurufen wg Rücktransport. Nach 15Euro in verschiedenen 0180er Warteschleifen erreiche ich dann jemanden der sich zuständig fühlt und mich zurück ruft. So kostet mich die Minute nur 21c statt rund einen Euro, wenn ich anrufe. Mit leerer Prepaid ist man da schnell aufgeschmissen. Der Sachbearbeiter der Unfallversicherung verspricht sich zu kümmern und will mich am nä Tag zurückrufen. Abends lese ich Tommy Jauds 'Hummeldumm' und schaffe das Buch bis fast zur Hälfte. Liest sich gut und ist unterhaltsam, wenn auch nicht so lustig, wie Vollidiot oder Resturlaub. Geht um ein Pärchen, das einen Namibia Trip gebucht hat und mit lauter kuriosen Gestalten durch die Wüste treckt. Da geh ich doch lieber fliegen in meinem Jahresurlaub :) Als mir die Augen zufallen kann ich etwas schlafen. Aber mehr als drei Stunden waren es wohl wieder nicht.

Am Sonntag Anruf der Versicherung. Da sie im Hospital keinen zuständigen Arzt erreichen, wird die weitere Bearbeitung am Montag erfolgen. Ich krieg nochmal Besuch und Hilfe beim Mittagessen, die restliche Zeit lieg ich herum, lese und langweile mich. Das Glockenspiel der Kirche vorm Haus hört sich schön an. Viel schöner als das den ganzen Tag dauernde geschnarche. Selbst beim größten Lärm, ein paar Handwerker reparieren ein Fenster im Zimmer, schläft der alte Herr. Der glückliche :)

Am Montag die Hoffnung bei der Visite, das ich am Nachmittag mal kurz aufstehen kann. Ein Physiotherapeut erklärt mir, das ich den ganzen Körper langsam und gleichmäßig drehen muß, wenn ich mich aufrichten will. Ich darf nur kurz ein paar Schritte mit Krücken machen, möglichst nicht sitzen und keine schnellen Bewegungen oder gar Drehungen machen. Ich probieren es am Nachmittag mit Katja, einer der jungen Schwester auf der Station. Sie bringt auch ein Korset für mich mit.

Nach den ersten Schritten hab ich nen Klos im Hals. Bißchen anderer Verlauf des Unfalls und ich hätte das hier vielleicht nie wieder tun können. Katja lächelt mich an, als sie die Tränen in meinen Augenwinkeln bemerkt. Könnte fast aus nem Film sein, oder :) ? Bin überrascht von meiner Reaktion und erkläre ihr auf englisch, warum ich so ergriffen bin. Sie lächelt nur und sagt nichts dazu. Ob sie mich verstanden hat? Am Nachmittag kommen zwei neue ins Zimmer, sind nun zu fünft. Zum Glück komm ich mit einem der neuen in ein Doppelzimmer nebenan. Welch eine Ruhe. Mihail spricht etwas englisch, wir smalltalken übers Wetter und warum wir hier sind. Er hat sich den Fuß gebrochen beim heimwerken.

Die Versicherung kann noch nix sagen, weitere Klärung am Di, ob der Heimtransport übernommen wird oder nicht. Der Doc meinte bei der Visite, es wäre besser bei der mindestens 8Std dauernden Fahrt, das ich sie erst gg Ende der Woche antreten sollte. Da hat er wohl recht.

Am Mi kommt ein Fax der Versicherung. Sie wollen wissen ob noch andere Versicherungen bestünden. Mir fällt ein, das die Visacard ab 2TEuro Jahresumsatz auch eine Auslandsschutz beinhaltet.Es wird weiter geklärt.Draußen regnets. Hab also wenigstens kein Flugwetter verpaßt :)

Die Versicherung teilt mit, das die Kosten übernommen werden. Teilen die sich nun wohl mit Visa. Sie wollen mich am Freitag Morgen holen, ich meine, das Donnerstag abend besser ist, da die Straße frei ist und am Freitag auch mehr Ärzte in der Klink sind. Mein Sachbearbeiter stimmt zu und wenig später steht der Termin: 23uhr am Do.

Am Donnerstag dann wieder Langeweile und leichte schmerzen. Die ersten beiden Tage gabs einen Painkiller :) Tropf, seit Dienstag Tabletten, die ich aber nur nehme, wenns nicht anders geht. Weiß nicht so recht wie ich liegen soll, nach einiger Zeit tuts immer wieder weh. Gehe dann ein bißchen, dann gehts wieder einige Zeit. Hab schon das zweite Buch mit knapp 300Seiten durchgelesen. Ist sehr mühsam, wenn man nur auf der seite liegen kann und den Kopf nicht aufstützen kann. Könnt jetzt so schön beim Bierchen am Landeplatz sitzen und den Wolken zuschauen, die draußen vorbei rasen. Das Rückseitenwetter, welches bis Sonntag halten soll, ist da. Ich blöder Trottel. Eigentlich könnte ich ja fliegen gehen, wenn da nicht ....

Die Heimfahrt

Pünktlich 22.45uhr stehen zwei junge Leipziger mit einem Insbrucker Krankentransport vorm Haus. Ich werde auf die Trage geschnallt,bekomme noch ein Schmerzmittel gespitzt, dann geht die Schlaglochsuche los. Italien geht noch, aber die Tauernautobahn scheint eine einzige Huckelpiste zu sein. Da lob ich mir doch die Stoßdampfer meines A4, so schlimm kam mir das da garnicht vor. Im Dachfenster über mir sehe ich den großen Wagen, wie er sich dreht, je nachdem, in welche Richtung es geht. Das einzig schöne in dieser Nacht :(

7uhr sind wir in Ffm, die Jungs sind quasi geflogen.Danke nochmal.Ich dachte mittendrin mehrmals, ich halte nicht durch bis nach Frankfurt am Main. In der Uniklinik komm ich recht schnell zum röntgen und der Oberarzt sagt mir, der Wirbelknochen ist nur gerissen und nicht gesplittert und hat das Rückenmark nicht verletzt. Um auszuschließen, das nicht eine Bandscheibe verrutscht ist oder auf das Rückenmark drückt, soll nun eine Kernspin gemacht werden. Ich wartet jetzt seit 9uhr30 in der Notaufnahme auf einen Termin zum Kernspin. Es ist jetzt 14uhr30 :( Ich bin seit 35Std auf den Beinen, bzw wach.

Um 15uhr platzt mir der Kragen, als ich das dritte mal auf den Flur geschoben werde, weil die Behandlungszimmer mittlerweile voll sind. Ich krall mir den Diensthabenden Oberarzt und bestehe etwas genervt darauf, das jetzt was passieren muß: Entweder MRT oder in ein Bett auf Station. Er sagt, es ist alles voll auf den Stationen und das MRT ist nach Rückfrage erst um 17uhr. Ich sage ihm darauf,das ich seit 35Std nicht geschlafen habe, eine Fahrt von 900km durch halb Europa hinter mir habe und seit über 20Std mit einer Rückenverletzung auf einer Trage liege. Er verspricht nochmals, sich zu kümmern. Ca 15min später hat er ein Bett in der Unfallchirurgie bekommen, in das ich nun verlegt werde. Na geht doch.

Irgendwie funktioniert das hier alles nicht, wie es sollte. Ein italienischer Pfleger, der eigentlich garnicht für den innerhäuslichen Transport zuständig ist, erklärt sich freundlicher Weise bereit, mich mal schnell auf die A6 zu bringen. Oben werde ich freundlich empfangen und schnell umsorgt. Um 17uhr solls dann endlich zum MRT gehen. Aischa, eine nette junge Schwester von der Station bringt mich selbst zum MRT. Sie meint, das nicht genug Zivis da sind, die das normalerweise erledigen. Es dauert ca 10min, solange ist sie nicht auf Station, wo viel zu tun ist. Denn das bimmeln der Zimmerrufe reißt nicht ab. Beim MRT warte ich ca 20min, nach weiteren 25min steh ich zur Abholung auf Station wieder im Flur vor der MRT station, die nur durch Vorhänge vom Warteraum abgetrennt ist. Es ist 18uhr.

Um 19uhr steh ich noch immer da. Gg 19.20uhr kommt dann ein telefonierender Zivi angeschlurft und schafft mich auf Station. Etwas länger und ich wär selbst gefahren :( Keine Leute kriege ich nur zu hören. Etwas später steht eine Anästesistin an meinem Bett. Sie will mit mir die OP am Montag besprechen. Ich fall aus allen Wolken. Was für ne OP frag ich entsetzt. Bisher hieß es doch, ich brauch nur Ruhe und Zeit und alles wird gut. Nach dem MRT hat mir niemand was gesagt. Ich sage ihr, das ich erstmal mit dem Arzt reden will, bevor an mir rumgeschnitten wird. Ausserdem würde ich gern eine zweite Meinung hören. Sie versteht das und geht. Da heißts nun warten, bis der Arzt kommt, sprich Visite :)

Samstag, 17.4. Mit stöpseln im Ohr und Schmerzmittel kann ich endlich mal eine Nacht durchschlafen. Draußen ist schönstes Frühlingswetter. Stationsärztin Dr.Sander kommt und wir reden über den gestrigen Tag. Sie bestätigt mir, das es durch Einsparungen u.a. bei den Zivis (Zivildienstleistende) zu Verzögerungen bei den Behandlungen kommt, weil die Patienten nicht rechtzeitig in die entsprechenden Behandlungsräume kommen. Der entstehende Stau setzt sich weiter fort, so das es zu teurem Stillstand bei kostenintensiven Behandlungsmethoden wie bspw. dem MRT kommt. Den Unmut der Patienten über die langen Wartezeiten bekommen dann die Mitarbeiter zu spüren. Das ist demotivierend und stumpft ab gegenüber Beschwerden, wie ich aus eigener beruflichen Erfahrung im IT Support weiß.

Frau Dr.Sander erklärt mir, das es verschiedene Methoden gibt, wie Bandscheiben und Wirbelprobleme behandelt werden können. Der behandelnde Chefarzt ist noch dabei, das für und wieder abzuwägen und er meldet sich dann bei mir. Ich bin erstmal beruhigt, das nun doch nicht so schnell geschossen wird, wie ich nach dem Besuch der Anästesistin gedacht hatte. Schliesslich sollte ich schon noch um meine Einwilligung zur OP gefragt werden. Ich bekomme noch Besuch von Freunden, dann endet der Abend mit Buch lesen, schnarchen vom Nachbarn und einer Nacht mit wenig Schlaf.

Montag, 19.4. Der Chefarzt kommt am Nachmittag und teilt mir mit, das es am Di nach Hause geht. Ich muß nun fleißig Rückenschule machen und in 4Wochen mich nochmal zur CT melden. In einem Jahr dann nochmal zum MRT. Die Bandscheiben sind eingeblutet und gequetscht und müßen nun von genug Muskelgewebe gestützt werden, damit sie ausheilen können.

Fazit

Mein Bericht hier ist so lang und ausführlich um zu zeigen, was ein kurzer Moment Übermut nach sich ziehen kann. Wie konnte ich, nach diesem geilen Flugtag, so eine Schei**e fabrizieren? Könnte mich immer noch treten dafür, auch weil es immer wieder Probleme mit dem Rücken gibt. Ohne regelmäßiges Rückentraining hab ich immer wieder Schmerzen im Rücken. Zum Glück ist aber alles gut verheilt, aber eine Bandscheibe ist nicht mehr ganz okay und das merke ich immer wieder.



Reisetipps gegen Unfallstress

ein paar Tipps für einen unbeschwerten Flieger Urlaub:
- Rufnummern der Versicherungen notieren, nach Möglichkeit Festnetznr, um hohe Handykosten zu vermeiden
- Rückruf verlangen, so zahlt man weniger Telefon Gebühren
- Mitgliedsnummer bereithalten
- vorher Aufstellung machen, welche Versicherung was tut, Visacard übernimmt zB ab Jahres Umsatz von 2000EUR auch Unfall und Auslandskrankenschutz
- zeitnah Unfall melden, auch an die Krankenkasse
- vom Krankenhaus Bescheinigung über Dauer des Aufenthalts geben lassen wg Krankentagegeld (unbedingt in dt oder engl, da es sonst unnötige Rückfragen gibt)
- für die Polizei Schirmcheck und Mitgliedsausweise bereithalten
- Unfallversicherung übernimmt Rücktransport, wenn medizinische Notwendigkeit besteht, bei mir bestand keine dringende Notwendigkeit im Helikopter transportiert zu werden, ausserdem war am 20.März 2010 der Eyjafjallajökull ausgebrochen und hat den Flugverkehr in ganz Europa beeinträchtigt.

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